Der Mensch

Was ist der Mensch?

Halb Tier – halb Geist; nach dem Guten strebend – und doch auch wieder dem Bösen zugeneigt; unter dem inneren Gesetz der Vollendung stehend – wie unter dem des Irrens; teils hellbewußt – teils in dumpf-unbewußter Befangenheit: als Wesen ganz – und doch ergänzungsbedürftig; Mann oder Frau – und dennoch wieder das Andersgeschlechtliche in sich tragend; frei – und verhaftet; erdgebunden – und doch gen Himmel aufragend und nach den Sternen greifend; sowohl Kind dieser Erde – wie auch Kind Gottes; sterblich – und gleichermaßen unsterblich: an all diesen Gesetzlichkeiten teihabend, aber nirgends in Ganzheit zugehörig. Ein Heimatloser auf der Wanderschaft zu einem Ziel, das er doch wieder nicht aus eigener Kraft zu erreichen vermag; und das verhüllt ist wie der Gottesberg Sinai, verhüllt von der geheimnisvollen Wolke, die gar so selten aufreißt, um das leuchtende Feuer zu zeigen.

aus dem Vorwort zu „Der Mensch als Bild“, 1954, Friedrich E. Freiherr v. Gagern